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LEG. Güßgens Schulzeit

LEG. Güßgens Schulzeit

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LEG-7, 2.mp3

[00:00:08]

Florian Güßgen [00: 00:16] Hallo und herzlich willkommen zur siebten Folge des LEG, des Lernentwicklungsgesprächs. Ich bin Florian Güßgen und find's schön, dass Sie dabei sind. Worum geht's heute? Naja, darum, dass ich so eine Art Zwischenbilanz ziehen möchte, wo wir jetzt eigentlich genau stehen mit der Digitalisierung im Unterricht in Deutschland. Und zwar mit einer etwas ungewöhnlichen Sichtweise. Dass Deutschland hintendran ist, das ist mittlerweile eine Binse, hat Corona auch klar gezeigt. Das muss sich ändern. Finden jetzt alle, mit allen Mitteln, möglichst schnell. Klar, finde ich auch. Aber es gibt eben auch diejenigen, die sagen: Macht jetzt nicht zu schnell. Und vor allem überlegt Euch bei jedem Schritt genau, was ihr tut und in wessen Interesse das möglicherweise sein könnte. Das sagt etwa eine Gruppe von Forscher:innen, die sich "Unblack the Box" nennt. Unblack the box, das heißt zunächst: Guckt genau hin, was in dieser "Black Box" Digitalisierung so drinsteckt, also in Algorithmen, hinter Künstlicher Intelligenz, aber auch hinter einzelnen Firmen. Versteht das alles, bevor ihr all diese Tools, diese vermeintlich tollen Tools, auf die Schüler:innen loslasst und im Unterricht benutzt. "Unblack the Box" hat auch, was ich ziemlich interessant finde, eine alternative Checkliste entwickelt, mit der Lehrer:innen und Direktor:innen ganz konkret überprüfen können, ob sie sich zum Büttel von Politik oder Unternehmen oder sogar einer Lobby machen – oder ob sie wirklich im Interesse ihrer Schüler:innen handeln. Ich finde diese Initiative – das haben sie ja sicher schon gemerkt – sehr, sehr spannend. Gerade weil sie gegen den Zeitgeist bürstet, gegen den Strich, und vor Nebeneffekten warnt, z.B. auch vor den Risiken designbasierter Bildung.

Florian Güßgen [00: Das ist ein superspannendes Thema. Und deshalb freue ich mich jetzt ganz besonders, dass zwei Vertreterinnen von "Unblack the Box" sich bereit erklärt haben, hier mit mir hier zu sprechen. Und zwar sind das Sigrid Hartong, sie ist Soziologie-Professorin an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, an der Bundeswehr-Uni. und Sieglinde Jonitz, sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt. Super, dass die beiden sich Zeit genommen haben.

Florian Güßgen [00: Bevor es losgeht. Aber jetzt noch ein kurzer Hinweis: Und zwar habe ich das Gespräch mit den beiden als so interessant empfunden, dass es mir leider etwas zu lang geraten ist. Länger als eine Stunde ist eigentlich ein No-Go beim Podcasten, schon klar. Aber dafür hab' ich's Ihnen jetzt etwas einfacher gemacht. Und zwar habe ich Kapitelmarker gesetzt. Das heißt: Sie können in Ihrem Player gucken, welche Themen wir angesprochen haben, um dann ganz gezielt zu dem jeweiligen Thema springen, ohne sich das ganze Gespräch anhören zu müssen. Kleiner Service. Und einen zweiten Service gibt's auch. Und zwar gibt's ein Transkript. Damit können Sie noch fixer durchgucken, über was wir gesprochen haben. Aber damit genug der Vorrede, die macht's ja nur noch länger. Jetzt geht's also los. Viel Spaß!

Florian Güßgen [00: 03:10] Hallo, Frau Professor Hartong!

Sigrid Hartong [00: 03:17] Hallo, ich grüße Sie.

Florian Güßgen [00: 03:19] Und hallo, Frau Dr. Jornitz!

Sieglinde Jornitz [00: 03:22] Hallo, auch von mir.

Florian Güßgen [00: 03:22] Es ist super und schön, dass Sie sich heute Zeit genommen haben. Es wird ja gerade viel über die digitale Technik in der Schule diskutiert. Rauf und runter. Die einen sagen: Her mit den iPads so schnell es geht, wenn die noch nicht da sind. Und die anderen warnen: Vorsicht, Microsoft Teams. Da schaut dann der US-Geheimdienst NSA beim Deutsch-Unterricht zu und liest mit. Sie wollen dieser ganzen Technik mit einem, ich zitiere das jetzt, mitn einem "aufgeklärten, kritischen Blick" begegnen und haben deshalb 2019 die Initiative "Unblack the Box" gegründet. Worum geht's denn da bei Unblack the box? Und was heißt das denn konkret?

Sigrid Hartong [00: 03:58] In der Tat spielt diese Polarisierung, die Sie gerade angesprochen haben im Digitalisierungsdiskurs für unsere Gründung, also für die Gründung von Unblack the Box eine nicht unerhebliche Rolle. Also wir sind bei Unblack the Box absolut keine Digitalisierungsgegner. Wir sind alles Forscher:innen, die super interessiert daran sind, Digitalisierung besser zu verstehen. Und wir stimmen auch zu, dass die wachsende Digitalisierung ein ganz, ganz zentrales Thema im Bildungssystem ist bzw. sein muss, werden muss. Gleichzeitig erlebten und erleben wir auch immer noch das, was so aktuell im Digitalisierungseformdiskurs und auch tatsächlich mit den Reformen nachher passiert, als mitunter teilweise gefährlich einseitig. [00:04:45]Also wir erleben ein wahnsinniges Schwergewicht auf eine Chancenseite, die gerade gelegt wird. Das sind dann so Schlagworte wie: Personalisierung, Ungleichheitsreduktion, Bildung wird viel effizienter, das Ganze wird viel günstiger. Und wir sagen halt: Naja, wenn man digitale Technologien in Bildung einsetzt, hat man enorme Nebeneffekte. [18.6s] Man hat enorme Kehrseiten, die wir mitberücksichtigen müssen, weil wir die automatisch mitnehmen, wenn wir sie einsetzen. Gesundheitlicher Art, ökologisch, gesellschaftlich, pädagogisch. [00:05:13]Und das Krasse ist ja, dass alle auch in der Politik immer schreien: Wir brauchen das pädagogische Primat. Wir wollen digital souverän werden und so weiter. Und wir sagen: Das geht aber nicht, wenn ich mich nur mit den Chancen auseinandersetze und nicht mit den Risiken gleichermaßen. [13.2s] Wenn man so zusammenfassen will, ist Unblack the box als Initiative der Versuch zum einen Forschung und Stimmen zu bündeln, die im Prinzip ein Gegengewicht zu dieser Einseitigkeit bilden sollen und gleichzeitig möglichst niedrigschwellige Angebote zu entwickeln, um das zu verstehen, um Datafizierung, Algorithmen, Designs verstehen zu können, sich damit auseinanderzusetzen, sich zu positionieren. Und dann sagen wir halt wirklich: Um Chancen der Digitalisierung viel, viel realistischer sehen zu können und dann auch umsetzen zu können.

Florian Güßgen [00: 05:59] Aber wenn ich mir jetzt Diskussionen in Deutschland angucke, dann ist es ja nicht so, dass da immer die Chancen der Digitalisierung in den Vordergrund gerückt worden sind. Sondern da gibt's ja immer viel Widerstand, also gerade was Datenschutz betrifft. Und da gibt's ja durchaus auch im Vergleich zu anderen Ländern viel mehr Skepsis gegenüber den Chancen. Warum glauben Sie, dass es trotzdem notwendig ist, dann auf die Risiken verstärkt hinzuwirken?

Sigrid Hartong [00: 06:22] Zum einen ist es natürlich so, dass es auch sehr, sehr krasse Gegner der Digitalisierung gibt und da auch sehr viel mehr Kritik in Deutschland zu finden ist als anderswo, als im angelsächsischen Raum zum Beispiel. Dennoch, wenn man dann in die Tiefe schaut: Was ist denn so die Kritik und was ist denn das für ein Diskurs? Und was sind das bildungspolitisch für Stimmen, die dort zu Wort kommen, die nachher auch wirklich in Reform hineinkommen und die Rolle spielen? Dann ist es eine nach wie vor dramatische Einseitigkeit. Wenn kritische Stimmen wahrgenommen werden, sind das Datenschutz Stimmen. Da stimmen wir zu. Das ist ganz präsent. Auch mal Stimmen zum Cybermobbing, ganz groß gibt's eine Fake-News.Debatte. Aber es gibt extrem wenig beispielsweise zu den gesundheitlichen Themen. Es gibt ganz, ganz wenig zu ökologischen Themen. Es gibt extrem wenig dazu, was designbasierte Bildung heißt? Wer setzt sich mit designbasierter Bildung auseinander? Und das meine ich mit Vielfältigkeit. Also ja, es gibt Kritik, aber die fängt ebenfalls nicht all diese Facetten ein. Und da sagen wir eben: Da fehlt was. Es gibt ein Riesenbedarf einer differenzierteren Auseinandersetzung, dem wir versuchen mit der Initiative ein bisschen mehr Stimme zu geben.

Sieglinde Jornitz [00: 07:37] Ich würde das gern noch ergänzen. Das Ansprechen von Risiken ist ja darauf ausgelegt, Risiken zu vermeiden. Und deswegenwirkt das oftmals, als ob man auf der Bremse stünde. Und vielleicht trifft der Begriff deshalb auch nicht richtig das, was wir machen. Uns geht's ja im Kern auch darum, gerade auch als Idee Unblack the box, dass da etwas ist, was man im Alltag auch in der Verwendung von digitalen Tools nicht auf den ersten Blick versteht. Und das hat unseres Erachtens auch nicht unbedingt damit zu tun, dass man keine Techniker:in ist, sondern in erster Linie überhaupt die Art und Weise, wie etwas aufbereitet wird, zu [00:08:13]verstehen. Ich weiß vielleicht keinen besseren Begriff als Risiken. Aber es geht nicht darum, etwas zu vermeiden, sondern die Digitalisierung ist da und die geht auch nicht mehr weg, sondern besser zu verstehen, was sind die Tools, mit denen wir im Bildungssystem arbeiten und welche Prozesse strukturieren die vor, die wir eigentlich so gegebenenfalls gar nicht haben wollen. Oder anders nutzen müssen. Das [23.4s] ist, glaube ich, das Entscheidende daran.

Sigrid Hartong [00: 08:39] Genau. Die Idee liegt auf einer Gestaltung und nicht auf einer Ablehnung. Das ist so.

Florian Güßgen [00: 08:44] Es gibt aber dieses Beispiel, das man sagt, also gerade die Schüler:innen sind in der Lage, eigentlich ständig irgendwelche Handys zu benutzen, kennen die die jüngsten Apps und die heißesten Apps, aber wissen eigentlich gar nicht, was technisch dahinter steht, also die Funktionsweise der Geräte und auch die Logik, die hinter den Geräten steht.

Sieglinde Jornitz [00: 09:06] Ich finde tatsächlich, was auch und notwendig ist, dass es eben nicht nur technisches Verständnis, also wie kriege ich möglichst Programmierkurse in das Curriculum der Schulen auch noch irgendwie untergebracht, sondern vor allen Dingen geht es um die Tools, die im Alltäglichen oder im Fächerkanon genutzt werden. Also im Matheunterricht, für Fremdsprachen. Wir wollen besser verstehen:Wie dreht sich auf einmal ein didaktisches Setting mit einem digitalen Tool? Das zu leisten, kann nicht Aufgabe der Schüler sein. Es ist Aufgabe der Lehrer. Und das andere ist aber auch: Wenn wir in die Schulen gucken, dann sieht man ganz klar [00:09:53]Die können vielleicht wischen und tippen und die heißesten Apps bedienen und weiterleiten. Aber zur Lebenswelt von Jugendlichen gehören diese digitalen Tools erst einmal nicht als Arbeitsgeräte. Und das sehen wir, dass Schulen jetzt gerade im Rahmen der Pandemie massiv bemerken, dass sie da keine Einführung gemacht haben. [23.8s] Wie wollen wir denn damit arbeiten? Da muss eine Arbeitsroutine her, und die haben die Kinder nicht. Verständlicherweise. Woher auch? Das ist überhaupt nicht wichtig, dass man sich da hinsetzt und Sachen bearbeitet.

Florian Güßgen [00: 10:32] Allein bei dem, was Sie gerade schon gesagt haben Sie beide enstehen bei mir tausend Folgefragen. Ich finde das hochspannend. Zum einen, Frau Jornitz, die, was Sie gerade gesagt haben, dass die Schulen unzureichend darauf vorbereitet sind. Es gibt ja durchaus Schulen, die sagen, sie führen beispielsweise in der fünften Klasse sowas ein wie so eine Art Medien-Grundschulung. Also es gibt ja durchaus schon Versuche, das zu machen, bloß nicht flächendeckend.

Sigrid Hartong [00: 10:57] Sicherlich. Also die sagen auch nicht, dass es nichts gibt. Das ist nicht unser, unser Anliegen. Im Gegenteil, wir sagen, es gibt extrem viele tolle Dinge da draußen und es ist eine Frage, wie wir das möglichst vielfältig sichtbar machen, um halt einen Diskurs zu fördern, der die gesamte Breite, die Spanne, in der wir uns da bewegen, besser einfangen kann. Und gerade im letzten Jahr sind unglaublich tolle Initiativen entstanden, sowohl was Dinge im Unterricht angeht als auch in der Lehrkräftebildung beispielsweise. Also, es passiert auch ganz viel. Gleichzeitig sehen wir eben nach wie vor in der Breite massive Ungleichgewichte und Schwierigkeiten. Es gibt Bedarfe, für die wir mit dieser Initiative etwas anzubieten. Und gleichzeitig versuchen wir immer wieder klarzumachen: Diese Themen sind natürlich auch Themen, die ich um Unterricht behandeln muss. Aber in allererster Linie sind das Umgebungen. Das sind neue Umgebungen, in denen ich mich als Lehrkraft mit den Schülern, mit den Schulleitern, mit den Eltern, mit den Behörden bewege, zunehmend bewege. Also ich muss genauso ein Tool im Unterricht anschauen wie das Schulwerwaltungssystem, in dem ich mich bewege, wie das funktionale System, mit dem Daten von meiner Schule in die Verwaltung oder in die Behörden gehen. Ich muss auch das Verständnis dafür haben, dass diese Dinge nicht isoliert voneinander operieren, sondern dass wir es mit größeren Zusammenhängen wie z.B. Dateninfrastrukturen zu tun haben oder größeren Märkten. Und dann hab ich eine bessere Idee davon, was ist denn dieses größere Ganze, indem wir uns hier eigentlich bewegen und von dem wir kontinuierlich auch beeinflusst werden in unseren Bildungsalltag, auch unbewusst. Oft fehlt uns das Know how, uns damit inhaltlich fundiert auseinanderzusetzen.

Florian Güßgen [00: 12:51] Sie haben vorhin zwei Kategorien von Risiken erwähnt. Also zum einen, sind das gesundheitliche Risiken, zum anderen ist das designbasierte Bildung. Können Sie vielleicht bei beiden Punkten kurz erläutern, was genau Sie damit meinen?

Sieglinde Jornitz [00: 13:04] Gesundheitlich geht es um das, was natürlich auch in den Gazetten rauf und runter immer auch Thema ist, den Suchtfaktor, dem Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, eben bezogen meist auf Videospiele et cetera. Mit einem klaren Blick oder nochmal mit einem stärker fokussierten Blick auf den normalen Unterricht taucht auch etwas auf, was nicht direkt Suchtcharakter bewirkt, das ist ja nicht wie so ein Auslöser, der zu etwas führt. Aber es hat eine Vorform, finde ich. Also wenn eben verstärkt digitale Tools eingesetzt sind, dann hat man eine wahnsinnige Fokussierung der Schülerinnen und Schüler jeweils auf die eine Aufgabe, die sich auf dem Screen, auf dem Bildschirm, zeigt. Es kommt immer die nächste Aufgabe, so wie man das auch kennt bei Videos, die man anklickt. Es gibt immer wieder das nächste. Das Nicht-mehr-Vorhandensein im Digitalen von einem Ende schlägt sich auch nieder in den Tools, die wir uns genauer ansehen können für Unterrichtzwecke. Und man könnte sagen: wWas macht das eigentlich mit der Konzentration bei Kinder und Jugendlichen im Rahmen im Setting von Schule? Konzentration ist zentral dafür, wie ich mich einem Thema zuwende. Aber es geht um mehr, darum, dass ich mich zu wenig bewege, um eine Deformierung der Nackenposition durch die schlechte Körperhaltung vor diesem Screen. Die Screens sind nicht auf die ergonomische Notwendigkeit der noch wachsenden Körper von Kindern ausgerichtet. Das sind nur einige der gesundheitlichen Aspekte, die da reinspielen. [00:14:45]Aber ich würde sagen, das Thema Konzentration, das ist das zentrale, was uns im Unterrichten selber Sorge machen muss und das wir im Blick haben müssen. Darauf muss Schule reagieren und didaktische Settings finden, wie es den Kindern ermöglicht wird, sich dem Unterrichtsgegenstand zuzuwenden. [17.8s] Es ist irritierend, wie wenig Perspektiven es darauf gibt, wie unterschiedlich das ist. Es wird immer ein Kind mit sechs Jahren genauso behandelt wie ein Jugendlicher mit 15. Und das ist es natürlich nicht. Und das ist doch entscheidend. Also wenn ich eine unruhige Klasse habe, dann würde ich sagen: Raus damit, raus. Also wie kann ich denen eigentlich eine Konzentration auf die Sache besser ermöglichen? Kaum dadurch, dass ich da auch noch so eine Hektik übers Digitale reinhole. Lehrerinnen und Lehrer sind doch Expertinnen darin, sich jeweils fallspezifisch, kontextabhängig der jeweiligen Schulklasse und dem jeweiligen Kind zuzuwenden. Und dazu kann man die ganzen Bandbreite der Tools eben nutzen. Aber man muss die Tools natürllich auch verstehen, so wie man auch die Arbeitsmaterialien verstehen muss. Taugt das Arbeitsmaterial für die Klasse oder taugt das nicht?

Sigrid Hartong [00: 16:00] Das ist genau das Argument von Unblack the Box: Dass es kein entweder oder in dem Sinne gibt, sondern dass wir sagen müssen: Es gibt die und die Möglichkeiten der Dinge, die wir einsetzen. Und bei jedem Ding, das wir einsetzen – beispielsweise bei Tabletsätzen – haben wir bestimmte Risiken, die damit einhergehen. Ich muss abwägen lernen, ich muss schauen: Passt das? Ist das pädagogisch verantwortbar? Ist das sinnvoll? Und wenn ich feststelle, das ist es nicht, dann macht es keinen Sinn. Und wenn ich feststelle, das kann jetzt sehr gut sein für das und das didaktische Mittel, für das und das pädagogische Ziel, das ich verfolge, dann würden wir auch eine andere Positionierung einnehmen als zu sagen: Alles Digitale raus aus der Schule und bloß nicht und das brauchen wir alles nicht. Das ist schwierig. Es ist unbequem, weil es eben sehr viel auf den Kontext zurückführt und sagt: Ein Kontext muss insoweit da entscheidend sein, was sinnvoll ist und was nicht. Ich hoffe, Sie kommen nochmal auf das Design nachher zurück

Florian Güßgen [00: 17:05] Keine Sorge. Die designbasierte Bildung vergesse ich nicht. Aber ich wollte nochmal auf folgenden Punkt zurückkommen. Klaus Zierer, den wir auch in diesem Podcast hatten, der sagt ja: Das ist eine Professionalisierung, die er von Lehrkräften erwartet beim Einsatz von digitalen Mitteln. Man muss einfach in jeder Situation als Lehrer wissen, welche Risiken und welche Chancen sind mit dem Einsatz von bestimmten Tools verbunden.

Sigrid Hartong [00: 17:37] Aber man muss dann dafür auch die Freiheit haben, das machen zu dürfen. Wenn ich jetzt zum Beispiel eine iPad Klasse installiere und sage: Die sind jetzt so modern, dass sie nur noch digital unterrichtet werden, dann nehme ich ein ganz großes Stück dieser Wahlfreiheit weg. [00:17:50]Und das ist das, wo wir sagen: Es braucht wirklich eine Vergrößerung von Autonomie, dass ich sagen kann, ich bin gewappnet zu entscheiden. Aber ich habe auch diese Wahlmöglichkeiten und es wird nicht gesagt, das eine ist besser als das andere. Nur wenn du digital unterrichtet bist, bist du eine moderne Lehrkraft. Und wenn du analog unterrichtest nicht. Das bringt uns da nicht weiter, weil es pädagogisch viel komplizierter und viel differenzierter betrachtet werden muss. [25.2s] Und noch eine Sache, weil's jetzt sehr viel auch um Konzentration ging und gesundheitliche Konsequenzen: psychologische oder auch psychisch-soziale Konsequenzen und Effekte spielen bei uns auch eine Rolle, mit denen wir uns versuchen so auseinanderzusetzen, dass es irgendwie leichter verstehbar ist. Dazu zählt beispielsweise alles, was reinkommt, wenn wir gamifizierte Designs haben, beispielsweise [00:18:41]wenn ich eine Lese-App benutze, wo's nur um Punkte sammeln geht, wird automatisch eine Punktefokussierung stattfinden. Das hat pädagogisch massive Konsequenzen dafür, wie eine Klasse miteinander umgeht, worauf sie denn guckt, wie Kinder miteinander über Bücher reden, wie Kinder miteinander über ihre Lernleistung reden. Wenn ich sage, ich möchte Pädagogik revolutionieren durch eine Digitalisierung, verschärfe aber nur eine Noten-Fokussierung durch eine Punkte-Fokussierung weiß ich nicht, ob das das ist, was wir haben wollen.[29.6s]

Florian Güßgen [00: 19:12] Weil die Kinder dann nicht mehr sagen: Ich sprech' über das Buch, sondern ich spreche über die Punkte, die das Buch bringt

Sigrid Hartong [00: 19:17] [00:19:17]Genau, exakt. [0.0s]

Sieglinde Jornitz [00: 19:17] [00:19:17]Man kann exakt sehen, dass tatsächlich die digitalen Tools die Form in den Vordergrund spielen. Also das, was eigentlich der Kern des Unterrichtens sein sollte, nämlich das Thema, dass verstanden, dass diskutiert werden soll, das geht nach hinten. [13.8s] Und dass alles, was Sigrid Hartong jetzt gerade schon erwähnt hat: Die Punkte schieben sich nach vorne. Das hat Momente von gamifizierten Aspekten, von permanentem Antriggern, wie einzelne Plattformen arbeiten etc. Das überdeckt das eigentliche Ziel, nämlich dem Kind, dem Schüler, der Schülerin zu helfen, ein Themenfeld besser zu verstehen, besser einüben zu können etc.

Sigrid Hartong [00: 20:00] Und das heißt nicht, dass es nicht tolle Tools da draußen gibt, die, die auch inhaltliches Auseinandersetzen total toll fördern können, die kollaboratives Lernen fördern können. [00:20:10]Aber das sind dann meistens eher sehr unbequeme Tools. Das sind nicht Tools, die sich leicht skalieren lassen oder billig in den Unterricht bringen lassen, weil das, was sich billig reinbringen lässt, was groß skalierbar ist, total easy in der Anwendung, sind meistens die Sachen, die das Analoge massiv duplizieren und ins Digitale und dann halt meistens noch irgendwie verschärfen durch z.B. sowas wie eine gamifizierte, designbasierte Orientierung. [23.3s]

Florian Güßgen [00: 20:34] Aber jetzt auch mal dagegengehalten. Ich kann die Kritik total nachvollziehen, die Sie jetzt gerade am Beispiel Punkte und Bücher geäußert. Aber wenn ich auf meine Lebensrealität gucke, dann lesen die Kinder prinzipiell eigentlich nicht mehr, weil sie die ganze Zeit bei Netflix hängen oder bei irgendwelchen anderen Spielen. Und der einzige Weg, sie dazu zu bringen, überhaupt diese entsprechenden Bücher zu lesen, sind die entsprechenden Belohnungspunkte, die dann vergeben werden.

Sieglinde Jornitz [00: 21:03] Also ob das der einzige Weg ist, die zum Lesen zu bringen, das leuchtet mir überhaupt nicht ein. Aber ich finde auch, Sie haben tatsächlich einen Punkt zu sagen: Es ist eine Möglichkeit, das zum Einsatz zu bringen. Aber es wäre fatal, anzunehmen, das wäre der einzige Weg, über den man noch Bücher lesen kann. Sondern die Idee muss ja sein, die Kinder wieder von diesem Tool wegzubringen, weil man möchte das doch die Faszination, sich einer Geschichte zuzuwenden, so groß ist, dass man dann auch tatsächlich selber irgendwann den Wunsch hat, weiter zu lesen. [00:21:57]Das Versprechen, Bücher zu lesen, Romane zu lesen, Erzählungen, ist ja, dass man an diesem ästhetischen Genuss, einer ausgedachten Geschichte zu folgen, in andere Welten zu entschwinden, da einen Zugang findet. Meines Erachtens ist der Zugang auf der Plattform dazu extrem erschwert. [17.2s] Der bringt einen dazu, etwas zu lesen, weil man die Punkte hat. Aber es muss auch wieder wegführen. Und dafür gibt Antolin ja überhaupt gar keine Möglichkeiten, sondern das muss auch eine Lehrerin machen.

Florian Güßgen [00: 22:26] Ich würde das sofort unterschreiben. Alles was Sie sagen ...

Sieglinde Jornitz [00: 22:28] Das freut mich sehr.

Sigrid Hartong [00: 22:28] Jetzt kommt das aber.

Florian Güßgen [00: 22:34] Die Frage ist bloß: Wie kommt man genau dahin? Das, was Sie beschreiben, die Faszination von erzählten Geschichten, von Narrativen, sich dafür zu interessieren und dafür auch die Konzentration und Zeit aufzubringen, ist natürlich total erstrebenswert.

Sieglinde Jornitz [00: 22:49] Aber das ist doch die Aufgabe von Lehrern immer gewesen. Und das irritiert mich daran. So zu tun, als ob wir jetzt nur noch das hätten. Und das ist das einzige, was wir haben als Zugang. Aber es gibt doch so wahnsinnig viele Ideen, wie man ein Themengebiet didaktisch arrangiert, dass da auf einmal Interesse geweckt wird. Das wird doch nicht weniger, nur weil wir digitale Tools haben. Das ist doch immer dagewesen.

Sigrid Hartong [00: 23:17] Sie haben mit dem Argument: Wie kriegen wir sie sonst ans Lesen? ein gängiges Narrativ gebracht. Das hört man, wenn man sich mit diesen Tools auseinandersetzt. Wir haben beispielsweise ein Interview-Studie gemacht, wo wir mit ganz verschiedenen Eltern und Lehrkräften haben konkret zum Programm Antolin gesprochen haben. [00:23:33]Und das ist ein Narrativ, was man hört. Man hört aber genauso das Narrativ einer super motivierten Lehrerin, die wahnsinnig traurig ist darüber, dass ihr Lesekreis zerstört wird, weil auf einmal Kinder nicht mehr sich eine Höhle unterm Tisch bauen und da in ihr Buch versinken, sondern jetzt am Rechner sitzen und auf Punktejagd gehen. Wir hören genauso von Müttern, die auf dem Schulhof debattieren: Welches Kind hat jetzt die meisten Punkte? Wie machst du das? Wir hören von Lehrern, die ihre Eltern in der Klasse erziehen müssen, dass die aufhören selber Antolin zu spielen, um die Punkte ihrer Kinder hoch zu bringen. [34.8s] Wir hören aber genauso die Mutter, die sagt: Ich beklage mich darüber, dass ich die Randliteratur, die ich gerne meinem Kind nahebringen würde, dies aber nur der Randbibliothek gibt und nicht auf Antolin, dass das nicht mehr vorkommt, weil das nicht im Design drin ist. Also es gibt ganz viele Stimmen. Und das ist auch hier wieder der Versuch, diese Stimmenvielfalt zu sehen. Also was was kann ich mir alles einkaufen, wenn ich das nehme? Was kriege ich vielleicht auf der Gewinnseite, weil ich jemandem das dadurch nahebringen kann. Aber wie halte ich das aber nachhaltig? Und was nehme ich aber an ganz vielen anderen Geschichten dadurch in Kauf?

Florian Güßgen [00: 24:43] Es ist hochspannend. Also auch diese Vorstellung, dass dann Väter oder Mütter abends Kinderbücher lesen, um um den Score bei Antolin zu pushen.

Sigrid Hartong [00: 24:51] Nee, nee, die lesen nicht. Die müssen nur die Multiple-Choice-Logik verstehen. Lesen muss da keiner mehr.

Florian Güßgen [00: 24:58] Sie sprachen jetzt mehrfach über Design. Ich würde jetzt gerne auch zu dem Thema designbasierte Bildung kommen. Was ist das? Und ich glaube, Sie haben es ja gerade schon so umrissen. Können Sie das nochmal näher beschreiben und sagen, wo Sie das Problem dahinter sehen?

Florian Güßgen [00: [00:25:10]Also im Prinzip versuchen wir mit Unblack the Box diese Idee von Design und auch damit von Modellierung von Bildung sehr, sehr stark ins Zentrum zu rücken, weil das ein großer Dreh- und Angelpunkt sehr, sehr vieler Fragen ist, die mit Digitalisierung von Bildung zusammenhängen. [15.8s] Die Grundidee ist eine sehr simple. Die Grundidee ist die: Ich habe eine hochkomplexe Bildungspraxis, Unterricht, Lernen, Lernzuwachs oder etwa wie Bildung gar und übersetze das in ein algorithmisch verarbeitbares, numerischers Format. Also ich habe ein Design im Sinne von: Ich modelliere eine Lernsituation, modelliere da den Lerner, die Lernerin rein, die Lehrkraft, den Lernstoff. Also alles. [00:25:56]Alles wird sozusagen in einem designbasiertes Repräsentarium gebracht, das aber eben basiert auf der Idee von Datafizierung. Also ich kann nur einfangen, ich kann nur verarbeiten, was datenbasiert einfangbar ist und was im Modell auch berechenbar ist. Und das ist nicht nur eine Reduktion von dem, was da ist, sondern das ist auch eine Erzeugung, weil ich dadurch natürlich eine ganz bestimmte Form von Sichtbarkeit produziere. Was sehen denn Leute, wenn sie ein Tool benutzen, überhaupt von sich, von der Lehrkraft, von dem Gegenstand, von ihrem Lernenzuwachs? Und gleichzeitig hat jedes Design eine Nutzer-Architektur, eine Nutzungs-Architektur, die bedeutet, wie ich dieses Tool bedienen soll? Wie ist dieses Design dahingehend vorgeschrieben? Und was kann ich also machen? Was kann ich aber auch alles nicht machen im Tool? Was will das Design, was ich zu welchem Zeitpunkt mache? Das ist also eine ganz, ganz starke Wirkmächtigkeit, die da im Gange ist, die damit zusammenhängt, was designmäßig vorgesehen ist. [63.0s]

Florian Güßgen [00: 26:59] Aber ist nicht jedes Schulbuch Produkt einer designbasierten Bildung?

Sigrid Hartong [00: 27:03] Es ist anders, sehr anders, würde ich sagen. Ein Schulbuch hat mehrere Unterschiede zu einem Bildungsdesign, wie es in Algorithmen oder Apps zu finden ist. Ein Schulbuch ist didaktisch orientiert. Da haben didaktische Experten draufgeschaut, das ist pädagogisch durch verschiedene Instanzen durchgegangen, es ist zertifiziert worden. Es ist ein Narrativ, wozu es eine ganz, ganz große Freiheit gibt dahingehend, wie ich es als Lehrkraft einsetze. Ich kann beim Einsatz eines Schulbuchs sagen: Wir gehen jetzt auf Seite Soundso oder das und das sehe ich anders als Lehrkraft. Lassr uns mal darüber reden. Dieses Aufgabenformat hier ist nicht so geeignet. Lasst uns mal was anderes draus machen. Ich hab euch jetzt lieber hier ein Arbeitsblatt kopiert. Wohingegen in einem designbasierten Setting, wo ich jetzt z.B. Learning Analytics durchlaufe und eine assignmentbasierte Lernplattform durchlaufe, wo ich dann immer wieder dieses algorithmische Feedback bekomme und z.B. Lernaufgaben sich dann verändern, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt ich welche Antworten gebe. Das ist etwas signifikant anderes. Und es ist auch etwas signifikant anderes bezüglich der Autonomie, die ich habe, mich damit dann auch inhaltlich auseinanderzusetzen. Was will das Programm jetzt von mir? Bin ich damit überhaupt didaktisch einverstanden? Was steht hier pädagogisch dahinter? Also wer hat das denn designt? Hat der denn eine pädagogische Ansprechbarkeit oder Expertise? Also man kann da verschiedene Unterschiede sehr signifikant aufmachen, die ein Schulbuch sehr stark unterscheiden, wenngleich natürlich in gewisser Weise jedes Ding, was ich in Schule bringe, als ein didaktisches Tool wie ein Schulbuch, ist natürlich eine Einschränkung, ist natürlich eine Vorgabe und ist natürlich ein Versuch, Unterricht in eine bestimmte Richtung zu lenken, ihm Struktur zu geben. Natürlich, das ist qualitativ ähnlich. Aber es hat eben ganz, ganz starke Unterschiede, die sich auf diese Risiken sehr massiv auswirken und auf die Chancen gleichermaßen.

Florian Güßgen [00: 29:05] Wir haben jetzt über Unblack the box, Ihre Initiative, gesprochen, Mir ist jetzt klar, was Ihre Ziele sind. Aber wer ist denn da eigentlich dabei? Ist das in erster Linie eine universitäre Veranstaltung oder haben Sie auch Lehrer und Lehrerinnen dabei?

Sigrid Hartong [00: 29:19] Also wir sind zusammengekommen aus verschiedenen Forschungszusammenhängen und verschiedenen Projektzusammenhängen, aus Forschungsprojekten, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Es gab 2019 bei mir an der Uni einen Workshop, wo wir sehr, sehr stark festgestellt haben, dass es da draußen wahnsinnig viel gibt, das war auch mit internationalen Kolleginnen und Kollegen zusammen, wir haben sehr viel Ähnlichkeit auch bezüglich dessen, worüber wir uns Sorgen machen. Ähnliche Herausforderungen, die wir immer wieder gesehen haben, was die Frage angeht: Wie kriegen wir dann das, was wir so an Befunden haben, auch international, aber auch hier national im deutschen Raum, wie kriegen wir das denn an den Mann sozusagen? Wie kriegen wir dieses Facettenreichtum irgendwie besser verankert. In Projektzusammenhängen hatten wir auch mit BildungspraktikerInnen und Praktikern viel zu tun, mit Leuten in Institutionen, mit Behörden mit Lehrer-Bildungseinrichtungen. Und dann hat sich das eben so zu einer Initiative entwickelt. Wir haben dann Stück für Stück festgestellt, dass wir das formalisieren wollen. Wir wollen uns stärker in Austausch bringen. Wir wollen versuchen, gemeinsam diese Kräfte zu bündeln und etwas auf die Straße zu bringen. Wir sind gar kein riesengroßer Kreis. Wir waren sieben Initiatorinnen. Jetzt sind wir zu neunt. Wir sind Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichsten Bereichen, die sich mit Digitalisierung von Bildung auseinandersetzen. Aber wir haben beispielsweise auch Personen, die in der Lehrkräfteaus- und Fortbildung aktiv sind. Und wir haben auch zum Beispiel eine eine Fachfrau für IT und medienpädagogische Fragen, die in der Lehrkräftefortbildung und Schulberatung sehr viel gemacht hat. Wir sind kein Kreis von 50 Leuten und gleichzeitig bilden wir doch eine relativ breite Gruppe ab, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema auseinandergesetzt hat und setzt.

Florian Güßgen [00: 31:22] Sie haben ja schon ein interessantes Produkt entwickelt in Ihrer Initiative. Das nennt sich die "alternative Checkliste." Und da haben Sie zwölf Leitfragen vorgestellt, an denen sich Bildungseinrichtungen orientieren können, wenn Sie digitale Technologien jetzt bewusst oder auch selbstbewusst nutzen wollen. Was war denn der Leitgedanke hinter dieser Checkliste? Das haben Sie ja schon mehrfach beschrieben. Aber wer ist der Adressat dieser Liste? Und wie soll man damit umgehen?

Sigrid Hartong [00: 31:53] Bildungspolitisch gibt es sehr oft diese Idee von Checklisten, die Schulen an die Hand gegeben werden. Oder es gibt Medienentwicklungspläne mit Checklisten, die man abarbeiten kann, um sich irgendwie zumindest zu orientieren, um eine Idee zu haben: Worum muss ich mich alles kümmern und was steht alles sozusagen auf dem Zettel. Und wir haben einige dieser Checklisten angeguckt und immer gedacht: Da fehlt was, da fehlt war, hier fehlt noch das, hier fehlt noch dies. Und gleichzeitig können wir eine Checkliste nicht immer und immer größer machen. Und so war unsere Idee, eine alternative Checkliste anzubieten, auf den Markt zu bringen, die so ein bisschen das Um-die-Ecke-denken, das Anders-drüber-Nachdenken, dazu einlädt und Schulen auch ein Angebot macht im Sinne von: Hier gibt es aber trotzdem einen Versuch bei aller Komplexität, die das hat, bei all Facettenreichtum, bei allem, was wir da sagen, was man mit berücksichtigen könnte oder sollte, das doch ein bisschen in kondensierter Form zu haben. Also erst mal eine Art Überblick zu haben Worum geht's denn hier alles? Was kann ich mir alles so angucken? Und dann so ein bisschen auch die Idee mit diesen verschiedenen Kategorien der Checkliste wiederum die Möglichkeit zu haben, einen Teil dieser Box aufzumachen, bunt zu machen. Wenn ich dann sage, da will ich jetzt ein bisschen weiter reingehen. Mich interessiert z.B. der ganze gesundheitliche Facette total. Da haben meine Schülerinnen und Schüler ein Thema mit. Lass uns da mal genauer reingucken. Oder: Ich hab' ein großes Anliegen, mich mit Überwachungsthemen, mit Social Surveillance zu beschäftigen. Dann gehe ich da ein bisschen mehr rein. Also diese Checkliste auch nicht als so ein Fließtext-Buch im Sinne von: das muss man alles angucken, sondern ein Portfolio aufzuzeigen, wo man dann aber auch gucken kann, was braucht denn jetzt der Kontext, der sich damit irgendwie beschäftigen will? Und in dem Sinne adressiert es auch nicht nur Lehrkräfte, sondern im Prinzip jeden, der sich gerne damit auseinandersetzen möchte.

Sieglinde Jornitz [00: 33:48] Und ich möchte das um zwei Dinge nochmal ergänzen. Das eine war auch: Wir wollten das nicht so präsentieren, dass wir die Lösung haben, also im Sinne von: Wir wissen, wie's geht. Ihr müsst nur A, B und C machen. Sondern wir wissen, dass es kompliziert ist und dass es auch jeweils kontextabhängig ist, was jeweils funktioniert und was nicht funktioniert. [00:34:12]Und deswegen ist auch die Idee dieser alternativen Checkliste, den einzelnen Personen die Möglichkeit zu geben, wieder handlungsfähig zu werden. Indem man sich durch die Fragen selber reflektiert, aber eben auch gleichzeitig damit etwas entgegensetzen kann. [17.3s] Und das bedeutet im zweiten Gang tatsächlich, dass auch die Leute, die im Feld der Praxis unterwegs sind, die irgendwie auch gegebenenfalls manchmal ein diffuses Unbehagen haben, aber nicht genau wissen, finde ich. Dadurch kann man auch mal sehen, die sind gar nicht so verkehrt, sondern die Fragen, die ich vielleicht auch habe, ohne genauer nachzudenken, die sind auch relevant und die sind vielleicht auch zentral für einen bestimmten Punkt. Also ich glaube nochmal die beiden Aspekte war auch etwas, was uns als Gruppe geleitet hat. Wir sagen: Wie macht man das handhabbar und nicht: Sie müssen A, B und C, die achttausendneunhundert Seiten lesen und danach wissen Sie Bescheid. Sondern man muss handlungsfähig bleiben. Und das, finde ich, ist ja genau das, was man nicht mehr ist. [00:35:10]Man wird so wahnsinnig handlungsunfähig gemacht oder man erfährt sich als hilflos. Und aus dieser Sache wollten wir raus. [5.7s]

Florian Güßgen [00: 35:17] Sie haben ja da ziemlich grundlegende Fragen, auch spannende Fragen aufgeworfen in diesen Leitfragen. Sie fragen zum Beispiel: Wer steckt hinter dem Tool? Wo fließen die Daten hin? Aber auch: Wer berät oder schult mit welcher Logik? Und gerade bei dem Punkt Schulung und Beratung würde ich gerne nochmal einhaken, denn es gibt ja tatsächlich viele Schulungen, beispielsweise von Apple, ich glaube auch von Microsoft oder Samsung an den Schulen und Fortbildungen. Haben sie das Gefühl, dass das nicht ausreichend kritisch betrachtet wird?

Sigrid Hartong [00: 35:45] Also tatsächlich würden wir sagen, es ist ein bisschen unterschätzt, wenn man annimmt, in Deutschland werden die großen Technologie-Anbieter sehr eingedämmt oder es ist deutlich eingedämmter als in anderen Ländern. Wir sehen da auch eine Menge, was natürlich auch pandemiebedingt passiert ist, das etwa Rundum-Sorglos-Pakete an Schulen verkauft werden, die natürlich in ihrer Not sagen: Nehmen wir. Oder wenn derartige Anbieter in Fortbildungsmärkte reindrängen, weil sie einfach auch sagen: Wir bieten euch schnelle rapide Lösungen an. Ihr wisst dann, wie's geht und dann seid ihr vorn dabei. Das ist ein großes Problem natürlich. Auf der anderen Seite ist es halt nicht so homogen. Gerade im deutschen Setting ist das eine sehr, sehr starke Vielfältigkeit, welche Akteure eigentlich welche Art von Fortbildung machen. Und deswegen auch da der Versuch mit dieser Frage. Wir wissen es nicht. Wir können nicht, wer jetzt zum Beispiel in Schule die Beratung macht, weil der Markt so undurchdringlich ist. Und gleichzeitig müssen müssen die Akteure in Schule diese Frage stellen, damit das eben auch einen Puffer gibt, damit man auch sagen kann, es kommt eben nicht letztendlich irgendwie etwas in Schule, was wir am Ende gar nicht haben wollen. Und das ist auch wieder ein Versuch zu sagen: Wir können jetzt nicht anklagen im Sinne von: Apple raus. Das ist auch nicht die Situation. Aber es ist halt durchaus eine Problematik da, mit der sich Schule auseinandersetzen muss und auch alle, die damit zu tun haben, Schule zu steuern.

Sieglinde Jornitz [00: 37:15] Genau. Ich würde sagen, nochmal umgekehrt. Eine Produkteinführung. Das können die Anbieter machen. Und die haben natürlich immer ein Interesse daran, dass das Produkt auch so eingesetzt wird, wie's optimal ist. Aber nochmal die Frage anders zu stellen, nämlich zu fragen: Passt das eigentlich zu dem didaktischen Konzept, das wir hier an der Schule umsetzen wollen? Das können Produktanbieter gar nicht leisten. Es geht darum, nicht aus der Not eine Tugend zu machen. Und man könnte, also eine Erfahrung. Ich hatte damit nicht gerechnet jetzt in der Pandemiesituation.. Ich hatte naiverweise auch gedacht, dass im letzten Frühjahr tatsächlich die Schulen wie wahnsinnig Lernsoftware lizensieren. Das ist aber überhaupt nicht passiert. Also da haben wahrscheinlich eine Menge Lehrerinnen und Lehrer Sachen ausprobiert, weil die großen Anbieter auch tatsächlich so kostenfreie Pakete gemacht haben. Aber es ist mitnichten so, als ob die Schulen eingekauft hätten. Also das ist ja erstmal zum Vorteil. Aber da entsteht vielleicht auch ein schiefes Bild. Es gibt eben Schulen, die tatsächlich über Klassensätze oder eben Modellschulen, die mit diesen Tools von Samsung und Apple et cetera, Microsoft, ausgestattet worden sind. Aber es gibt eben auch wahnsinnig viele Schulen, die von solchen Sachen abgekoppelt sind.

Florian Güßgen [00: 38:34] Was ich mich frage, ist das, was Sie gerade ansprechen, dass man sagt: Also man muss sich fragen, wer macht da die Fortbildung und das auch kritisch betrachten. Das setzt ja eine unglaublich hohe Kritikfähigkeit voraus. Das heißt, ich als jemand, der das bewerten soll, muss mich ja wirklich verdammt gut auskennen. Ist das nicht eigentlich zu viel verlangt? Nicht nur von Lehrkräften, die jetzt momentan ja bekanntermaßen einiges um die Ohren haben, sondern auch tatsächlich von sowas wie Schuldirektoren?

Sieglinde Jornitz [00: 39:02] Also ich würde das gar nicht so kompliziert machen, muss ich ganz ehrlich sagen. Also erstens kann man sagen, Lehrer sind akademisch ausgebildete Fachkräfte. Da würde ich jetzt sagen, da kann man doch eine ganze Menge auch voraussetzen, das zu tun. Und es geht ja nicht darum, dass sie den Quellcode lesen können müssen. Das wäre absurd. Und es geht bestimmt auch ganz viele juristische Themen, die etwa die Datensicherheit bestimmen. Das wäre auch nicht im Kern der Lehrkräfte. Aber sowohl auf der Schuleitungsebene, die sich mit der Verwaltung im Kern beschäftigen als auch mit der mit der Ebene des konkreten Unterrichtes - da sind ja Lehrerinnen und Lehrer die Experten und Profis. Das heißt, das, was sie bislang auch immer schon machen, muss eben jetzt auch mit den digitalen Tools gemacht werden. Und unserer Erfahrung nach muss man einmal im Grundkonzept verstanden haben. Und das war auch die Idee mit den Fragen. Also wenn man zum Beispiel eine Hilfe kriegt, auf was sollte ich denn achten. Dann findet man auch einen Weg da rein, jund dann kann man manche Sachen abprüfen. Und dann kann man sagen: Will ich das, will ich das nicht?

Sigrid Hartong [00: 40:11] Natürlich erscheint das, was wir auf den Plan rufen, alles nochmal komplizierter zu machen. Wie soll das denn ein Bildungspraktiker hinbekommen, gerade in Pandemiezeiten. Wir sind da voll bei Ihnen. Die Idee von Unblack the box ist nicht, jetzt nochmal sozusagen Richtlinien obendrauf zu legen und zu sagen: Jetzt müsst ihr aber nochmal prüfen und nochmal prüfen und nochmal prüfen. Darum geht es uns nicht. Uns geht es darum, egal, mit was für einem Tool ich zu tun habe in Schule. Das kann ja auch schon eingekauft sein. Das kann ja auch schon da sein. Das kann ja auch Vorteile haben. Aber mich damit auseinanderzusetzen, diese Vorteile zu verstehen, zu verstehen, was macht das denn hier mit uns? Und ist das so das, was wir wollen?Oder müssen wir dann doch mittel bis langfristig auf eine andere Schiene gehen? Brauchen wir eine andere Form von Entwicklung, eine andere Form von Plattform, eine andere Form von Apps, die uns was anderes geben können? [00:41:02]Und dann auch und das ist so ein bisschen wie die Idee dahinter, diese Forderung an eine Tech-Industrie, an Designs zu formulieren, also nicht nur zu nehmen und zu sagen: Nehme ich's jetzt, nehm ich's nicht. Ist das jetzt gut oder schlecht? Sondern auch sagen Was brauche ich dann pädagogisch und erzähl' mir mal auch, lieber Produktanbieter: Was ist denn jetzt das pädagogisch wirklich Innovative, was du mir hier gerade verkaufen willst? Und allein diese Frage mal zu stellen, da werden sich ganz schöne Gräben auftun, weil ganz viele Tools verpuffen sehr, sehr schnell, wenn man mal fragt, was pädagogisch drinsteckt. [31.1s]

Florian Güßgen [00: 41:34] Aber ist das nicht eigentlich alles der Job von einem Landes- oder vielleicht sogar Bundes-TÜV für die entsprechenden Bildungs-Tools?

Sigrid Hartong [00: 41:42] Man kann so natürlich argumentieren. Wir würden allerdings sagen: Wir kommen nicht weiter, wenn wir jetzt Verantwortung wieder zuschreiben und sagen: Das muss aber der machen, sondern das betrifft uns alle. Also jeder, der in die Lage versetzt wird, sich damit auseinanderzusetzen, ist einer mehr und wird helfen, den Diskurs weiterzubringen. Sicherlich gibt es formale Zuständigkeiten, und da würde ich auch zustimmen. Es gibt bestimmte Akteure, die sind ganz bewusst nochmal in der Verantwortung, aber eben nicht alleine in der Verantwortung.

Sieglinde Jornitz [00: 42:12] Ja, ich glaube tatsächlich, dass diese Pandemiesituation ganz viele eben so kalt erwischt hat. Und da wär's tatsächlich nötig gewesen und vielleicht auch immer noch nötig, zentrale Stellen zu schaffen, sodass nicht jede Lehrerin selber, jede einzelne Schule Einzelentscheidung trifft und schaut, wie komme ich jetzt daran? Das glaube ich hat auch nochmal das deutlich gemacht, dass das wahnsinnig gefehlt hat oder immer noch fehlt. Aber bezogen auf eine Prüfstelle, die bundesweit oder bundesland weit bestimmte Tools eben prüft, kann ja immer nur eine Hilfestellung und ein Hinweis sein. Natürlich ist pädagogisch Arbeiten kontextabhängig. So wie es immer ist. Ein Tool muss zu mir als Lehrerin passen. Es muss aber auch zu der Klasse, zu den Schülern passen. Das kann man gar nicht erschlagen durch eine allgemeine Einschätzung. Man kann vielleicht eine grobe Angabe machen, alterskonform für, die Fachzurichtung und von mir aus vielleicht die Idee, was da didaktisch mit unterstützt werden soll. Aber das andere bleibt tatsächlich Aufgabe und auch in der Entscheidungsgewalt der Schule und der einzelnen Lehrerin, des einzelnen Lehrers.

Florian Güßgen [00: 43:33] Aber wenn ich sie richtig verstehe, heißt das Motto Unnlack the box in erster Linie: Wir müssen Transparenz schaffen, um bestimmte Mechanismen zu verstehen und nachvollziehen und dann auch kritisieren zu können. Und wenn Transparenz das entscheidende Merkmal und das entscheidende Ziel ist, dann kann ich doch sagen: Es ist vollkommen klar, dass jede App Vor- und Nachteile hat und dass jede Lehrerin dann entscheiden muss, welche App oder welche Software eingesetzt wird. Aber zumindest durch einen TÜV, der nach transparenten Kriterien bewertet, wird viel Effizienz geschafften, um eine selbstbewusste und professionelle Entscheidung treffen zu können, was ich denn in meinem Unterricht einsetze. Oder ist das falsch?

Sieglinde Jornitz [00: 44:17] Ich hätte es jetzt nochmal ganz runtergekocht. Eines unserer Beispiele ist Better Marks,m eine tatsächlich sehr überzeugend programmierte Lernsoftware für den Mathematikunterricht, und zwar wirklich über sehr, sehr breites Klassenstufenspektrum. Die werben damit: Aus Fehlern lernen, das ist einer ihrer Slogans. So, und man könnte ja sagen: Das ist genau so. Tatsächlich, wenn man deine Aufgabe bearbeitet, wird sofort geprüft: Ist es richtig oder falsch? Es wird sogar der Lösungsweg angegeben. Es gibt, wie das dann ist. Es gibt Erklärseiten, es gibt Hilfeseiten etc. Aber es wäre natürlich naiv zu glauben, aus Fehlern lernen, das könne man mit dem System. Man muss erst einmal tiefer eindringen und sich fragen: Wie kann man denn damit überhaupt aus Fehlern lernen. In Bezug auf Better Marks bedeutet das, die Aufgabe einfach nochmal zu machenl, in einer anderen Reihenfolge. Und das ist doch eine interessante Idee, die da einprogrammiert ist. Mein Fehler wird nicht erklärt, wie man eben sagen könnte: Ein Fehler wird, wenn's gut läuft im Unterricht, was auch analog oftmals nicht der Fall ist, dient der Lehrerin als Hinweis. Was hat der Schüler noch nicht verstanden? Um dann genau diesen Fehler aufzuarbeiten und aus der Fehlerbesprechung entsteht tatsächlich ein Verständnis im besten Sinne für das mathematische Konstrukt, das dort thematisiert worden ist. Das System selber erschlägt das. Ich glaube im guten Sinne, Better Marks sind ja vielleicht auch die Guten. Aber diese Verlangsamung, diese Irritation, die man im Unterricht machen kann, weil es einfach eine menschliche Begegnung ist, in der Klasse, eine Hilfestellung, in Gruppenarbeit et cetera. Das gibt es nicht, das kann das System nicht leisten. So, und ich frage mich, das kann man einfach nicht mit einem TÜV erschlagen, sondern man muss sich ein Verständnis darüber anschaffen, wie sind diese Systeme programmiert und was können sie überhaupt?

Florian Güßgen [00: 46:25] Ganz kurz zur Better Marks. Da würde ja jeder jeder Entwickler sagen: Da haben Sie total recht. Aber das bedeutet einfach nur, dass der Algorithmus noch nicht gut genug ist, wenn er sich auf das Lerntempo des Schülers noch nicht einstellen kann. Und warten Sie doch erst einmal drei Jahre, bis wir so weit sind, dass wir dann über Better Marks eben nicht nur die nächste Aufgabe wieder einspielen, sondern dann sofort die Erklärung Das ist ja Kritik.

Sieglinde Jornitz [00: 46:49] Ja, dann sagen Sie das mal.

Sigrid Hartong [00: 46:58] Ich würde aber eine ganz andere Antwort noch geben wollen. In der designbasierten Bildung ist ja die Idee: Wenn etwas noch nicht ist, dann muss ich das Design verbessern. Ich muss es optimieren. Und dieses optimieren, das geht über verschiedene Art und Weisen in ganz, ganz vielen Fällen eben darüber, dass man über Big Data, über Nutzerdaten, große Muster herauszulesen, um herauszufinden, wie muss ich das Design gestalten, damit am Ende idealerweise das rauskommt, was ich dann auch pädagogisch als Lernpfad da reindesignt habe. Was muss ich anders machen, damit die Schülerinnen und Schüler das am Ende so benutzen können, dass sie die höchsten Lern-Outputs oder was auch immer haben. Man kann aber durchaus eine grundsätzliche Frage stellen, nämlich: [00:47:45]Was verlieren wir pädagogisch, wenn wir ein Design ständig optimieren? Wenn [3.5s] also das Design immer besser wird, kann das nicht eventuell auch einen ganz großen Nachteil mit sich führen, der beispielsweise ist, dass ich das Design immer engmaschiger stricke, also beispielsweise immer früher merke, wenn z.B. ein Schüler, eine Schülerin vom Lehrpfad abkommt und dann ganz, ganz schnell intervenieren kann, beispielsweise indem ich Texte zeige oder aufmunternde Nachrichten aufpoppen lasse. Denk' noch mal nach. Schau nochmal hier und dadurch ja immer weniger diesen Raum der Irritation, den Sieglinde Jonitz eben angesprochen hat, diesen Raum des Verlangsamens, des Auseinandersetzens immer weiter rausdesigne und quasi die Optimierung einer Logik folgt, die darauf abzielt, es effizienter zu machen, es lückenloser zu machen, es so zu machen, dass es möglichst smooth durchläuft, ohne dass es zu Irritation, zu Schwierigkeiten kommt, dem Design zu folgen. Das klingt wunderschön. Es klingt so, als ob sich alles in der Logik des Designs auflösen und bearbeiten. lääst. [00:48:51]Aber je mehr ich ins Design reinschiebe, desto mehr nehme ich von einer Auseinandersetzung zwischen Menschen und nehme Raum der Irritation drumrum weg. [6.9s]

Florian Güßgen [00: 48:59] Naja, der Traum der Entwickler ist natürlich zu sagen: Ich modelliere den Algorithmus so gut, dass er den Mensch bzw. den Lehrer oder die Lehrerin irgendwann in all seinen oder ihren Facetten ersetzt. Das ist ja das, was quasi als Optimum, als Leitbild herausgegeben wird. Und wenn ich mir das so.

Sieglinde Jornitz [00: 49:18] Aber das ist doch eine schöne Figur. Warum sollte das denn überhaupt ein Ziel sein? Warum sollte ich von einer Maschine etwas lernen. Die Maschine ist doch nicht wegen mir da, sondern ich bin wegen der Maschine da, weil die sonst nix zu tun hätte.

Florian Güßgen [00: 49:32] Naja, die Vorstellung ist ja die, dass man sagt: In einem System, was offensichtlich massive Defizite hat und wo beispielsweise das personalisierte Lernen allein aufgrund des Lehrermangels nicht mehr bewerkstelligt werden kann, sourcen wir das out an Maschinen, die in der Lage sind, den optimalen Unterricht für unsere Kinder zu gewährleisten? Das ist, glaube ich, das Argument, was man dann hören würde, was ja zum Teil auch in USA noch viel selbstbewusster vorgetragen wird.

Sigrid Hartong [00: 50:00] Genau. Das ist ein Kernnarrativ, das kann man so sagen. Das würde man auch sehr viele Leute haben, die dann applaudieren. Wir versuchen ja immer ein bisschen unbequemer zu sein und unbequemer zu formulieren. Und hier kann man ganz viele kritische Gegenfragen stellen. Da kann man [00:50:14]sagen: Wenn es so einen großen Lehrermangel gibt und pädagogische pädagogische Defizite am Personal. Warum wird da nicht viel stärker investiert anstatt Milliarden in die Ed-Tech-Industrie zu pumpen? [10.4s] Die Lösung liegt vor der Haustür. Ich kann in Schulgebäude investieren. [00:50:30]Ich weiß aus der Forschung ganz klar, in einem schönen Gebäude mit einer schöne Ausstattung mit funktionierenden Klos lernt sich besser als in einem maroden Gebäude mit Tablets. [8.7s] Ich kann in Dinge investieren, wo ich sehr genau weiß - und Studien um Studien belegen es immer mehr: Die Lehrkraft macht den größten Unterschied. Warum da so mutwillig das Problem, was sie gerade adressieren, ja mitgeschaffen wird, indem man eben massiv Geld in die eine Richtung schiebt. Diese Idee eines optimierten Unterrichts ist ein ganz starkes Narrativ, ein ganz starker Mythos, allein dieser Begriff zu sagen, ich kann etwas optimieren, was sofort die Frage aufwirft, nach welchen Kriterien? Was ist denn das Optimum eines Designs, einer Lernplattform, die ich durchlaufe? Was heißt das denn? Und dann bin ich ganz schnell genau bei den Themen, die wir bei Unblack the box bearbeiten, weil das dann sehr schnell eben auch eine wertebezogene Diskussion wird, zu fragen: [00:51:30]Wenn ich etwa ein Optimum schon benennen kann im Design und brauche alle nur noch dahinzutrainieren, dass die diesem Design folgen. Was heißt das für eine demokratische Gesellschaft? [9.2s] Was heißt das für eine digitale Zukunft, wo ich eigentlich Schülerinnen und Schülern ein Umgehen mit Unsicherheit geben muss und eben nicht mit Sicherheit, die im Design vorgegeben ist, wo ich sie befähigen muss, mit Unbequemlichkeit irgendwie umzugehen, sich mutig auseinanderzusetzen und eben dieses Auseinandersetzen und das Optimieren nicht einem Design zu überlassen. Und ich bin dann nur noch derjenige, der das durchlaufen muss.

Sieglinde Jornitz [00: 52:04] Das Irre ist doch, dass das alles Versprechungen und Zukunftsszenarien sind. Die Leute, die sowas sagen, dass das die Maschine ist, die reden immer im Indikativ. Aber faktisch ist es ein Konjunktiv. Die wissen gar nicht, ob es programmierbar ist, und wir glauben das einfach. Und das verstehe ich immer nicht.

Florian Güßgen [00: 52:20] Das kann ich total nachvollziehen. Ich meine, wir haben ja an vielen Schulen noch kein Internet. Insofern ist die Diskussion darüber, wie gefährlich Algorithmen dann für den Unterricht sein könnten, tatsächlich ein bisschen vorgegriffen. Trotzdem glaube ich, dass die Diskussion ansteht. Ich meine, Sie kennen das. Es gab in den USA immer natürlich ein bisschen gehypte Vorbilder. Ich glaube, die School of One und dann gab's in San Francisco auch so eine Schule, die mittlerweile, glaube ich, auch wieder dichtgemacht worden ist, wo man gesagt hat: Der gesamte Schulalltag wird von Algorithmen durchgeplant, und dann komme ich morgens rein und dann wird mir mein individualisiertes Programm eingespielt. Und dann wird mir auch schon relativ schnell eine Prognose erstellt, wozu ich denn eigentlich in der Schule fähig bin und was meine Leistungsfähigkeit ist und so weiter und so fort. Das sind natürlich Horrorszenarien, aber ich glaube schon, dass das die Diskussion im Prinzip der nächste Schritt ist, was man davon ethisch überhaupt anstreben möchte. Da bin ich total bei Ihnen.

Sigrid Hartong [00: 53:19] Also ich glaube was, was da wichtig ist, sich immer wieder klarzumachen. Es wird ja ständig auch darauf verwiesen. Wir werden nicht wie die in den USA, das ist ja ein Horrorszenario. Oder in asiatischen Ländern wird der Hirnstrom von Kindern vermessen! IUm Gottes Willen! Aber: [00:53:40]Diese Datafizierung und Digitalisierung hat eine massive Eigendynamik. Sobald ich mich auf gewisse Pfade begebe, kommen Sachen automatisch in Gang und auf den Plan. [13.0s] Das sieht man beim Thema Datenzentralisierung zum Beispiel. Vor gar nicht so langer Zeit sind Leute auf die Straße wegen einer zentralen Schüler-ID. Jetzt soll's ein nationales Bildungsregister geben. Wir hatten mal eine Vergleichsarbeit - VERA - in Deutschland implementiert, also auf keinen Fall zur Steuerung, hieß es. Das ist für die Lehrkraft, die individuell mit ihren Schülern arbeiten soll, hieß es. Jetzt ist es Teil von Monitoring, einer großen Monitoring-Strategie, weil Daten halt da sind. [00:54:21]Und wenn Daten da sind, warum sollen sie nicht auch genutzt werden? [1.9s] Es sind ganz viele Eigendynamiken am Start, die immer mehr pushen, dahingend, dass standardisiert wird, das zentralisiert wird, dass immer mehr und mehr und mehr Daten erhoben werden aus immer mehr Bereichen. Das Stichwort, was Sie sagten: Optimierung von Design, dass wir also immer optimieren, dass wir noch mehr in Daten übersetzen, dass wir also jetzt doch anfangen, Körperdaten mit zu erfassen, Verhaltensdaten mit zu erfassen. Und je mehr wir das ausweiten, desto mehr begeben wir uns in diese Logiken rein. Also ich halte das auch ein Stück weit für naiv zu sagen: So wie dort wird das hier nicht kommen. [00:54:59]Wir würden nicht sagen, wir sind früh dran. Aber wir streben doch an zu versuchen, noch bevor jetzt etwa Künstliche Intelligenz breitflächig in Schule eingesetzt wird, darüber zu reden, was das eigentlich heißt und ob wir das überhaupt verantworten können. Weil wir eben zu einem gewissen Zeitpunkt dann auch einfach zu spät sind und [14.6s] dann nur noch versuchen können, irgendwie damit umzugehen. Und jetzt kann man eben noch an vielen Stellschrauben auch wirklich politische Entscheidungen fällen. Und da ist natürlich unsere Hoffnung mit Unblack the box, diese Art Stimmen auch stärker mit einzufangen.

Florian Güßgen [00: 55:28] Sie verwenden bei Ihren Leitfragen ja auch den Begriff Ed-Tech und sprechen da auch von einer Lobby. Das klingt so, als ob da jetzt eine mächtige Lobby am Werke wäre, die alles in eine bestimmte Richtung drängt. Wen meinen Sie denn damit?

Sigrid Hartong [00: 55:48] EdTech, also Education Technology, ist ein sehr, sehr breiter Begriff. Also wir reden hier nicht nur über Lernsoftware und Apps, sondern es geht um das Ganze. Es geht um Infrastruktur-Tools. Es geht um Verwaltungs-Tools. Es geht um den riesigen Bereich Datenmanagement. Also das ist ein riesiger Bereich und Markt mit sehr, sehr vielen unterschiedlichen Akteuren, Playern, staatlich, privat. Das ist also nicht eindeutig zu benennen. [00:56:13]Gleichzeitig gibt es einen riesigen Anteil in diesem EdTech Bereich einer Art globalen Bildungsindustrie. Da gibt es inzwischen auch einen separaten Forschungszweig, der sich damit beschäftigt. Das ist ein Riesenmarkt, der global agiert und der tatsächlich von gewissen Firmen dominiert wird und der eine riesige politische Schlagkraft hat. Und die ist tatsächlich kaum zu unterschätzen. [21.0s] Die hat auch viel mit internationalen Organisationen zu tun. Die Ist einfach extrem einflussreich. Das kann man erstmal so hinstellen. Auf der anderen Seite ....

Florian Güßgen [00: 56:45] Entschuldigen Sie: Was meinen Sie mit internationalen Organisationen? Das klingt ja so nach internationaler Verschwörung. Welche internationalen Organisationen meinen Sie denn da? Die OECD?

Sigrid Hartong [00: 56:55] Wenn jetzt beispielsweise die Weltbank in Förderprogramme geht für Entwicklungsländer. Was wird da zum Beispiel dran gekoppelt? Wenn es um Digitalisierungfragen geht, ist das natürlich auch mit Investments verbunden. Und dann kommen derartige Player auf den Plan. Die OECD ist natürlich wichtig, aber auch die EU. Es gibt große Struktur auch internationaler Art, wo sich eben auch diese Global Education Industry herum arrangiert und extrem einflussreich ist. Sie schafft globale Märkte, in denen sie aktiv ist. Aber es ist wichtig und deswegen auch so ein bisschen entgegen diesem verschwörungstheoretischen Touch, den man sich damit ja einfängt. Es geht eben nicht nur darum, dass jetzt da drei große Player sind, die die Welt beherrschen, sondern das ist eben ein ganz facettenreicher, heterogener Sektor, in dem auch – und da kommen zum Beispiel auch Stiftungen ins Spiel, aber nicht nur – ganz, ganz viele intermediäre Akteure unterwegs sein, die also beispielsweise Ideen des EdTech-Sektors auch in Politik reinbringen. Die vermitteln zwischen Ebenen, werben zum Beispiel dafür, dass wir Interoperabilitätsstandards in Deutschland haben, also Standards, um Daten zu transferieren. Das macht es natürlich für einen EdTech-Sektor leichter, seine Produkte zu verkaufen, wenn das überall kompatibel ist und man nur ein System für alle braucht. Es ist unglaublich schwer, diese große Gruppe dieser Intermediären auseinanderzudividieren und auch eine Idee davon zu bekommen, wer von denen ist denn jetzt kritisch zu betrachten und wer ist eigentlich weniger kritisch zu betrachten. Wie stehen da eigentlich Politik und Wirtschaft zusammen? Wo kommt da jetzt überhaupt Markt rein? Wo ist das staatlich? Und das ist die Stelle, wo wir versuchen, ein bisschen mehr Licht reinzubringen mit der Initiative, was nicht leicht ist. Aber auch hier versuchen wir zu sagen: Es ist wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen. Und damit hängt dann auch der der Lobbybegriff zusammen. Das meint natürlich strategisch generell, dass sich gewisse Akteursgruppen um Politik herum arrangieren und sehr strategisch darauf Einfluss nehmen, was also an Positionen gehört wird und was dann eben auch an Entscheidungen priorisiert wird. Und wenn man sich da die digitale Agenda anguckt in Deutschland, wie die auf den Weg gebracht wurde, wie die jetzt auch geframed wird, das ist teilweise schon sehr erhellend. Ich formuliere es mal vorsichtig. Das ist auch das Dissertationsthema meiner Doktoranden Annina Förschler, die sich da extrem lange mit auseinandergesetzt hat. [00:59:27]Und es ist teilweise wirklich demokratisch extrem problematisch zu betrachten, wie wenigePersonen immer wieder in den Gremien, die entscheiden, auftauchen, wie viel Stimmen nicht dabei sind und wie eben auch bestimmte Interessen durch ganz strategisches Lobbying, also ganz strategisches Sich-Herum-Arrangieren um Politik Erfolg haben in diesem Framing der Agenda. [23.8s]

Florian Güßgen [00: 59:52] Aber nochmal dagegen gefragt: Mein Eindruck ist, dass tatsächlich die Entscheidungen in Deutschland relativ heterogen sind. Im Zweifelsfall scheitert die internationale EdTech-Lobby dann doch an einem Ministerialbeamten in Dresden, in München, in den einzelnen Hauptstädten, wo die Kultusministerien sitzen. Die Ministerialbeamten sind dort zuständig für die Beschaffe und sagen: Niet, verstehe ich nicht. Diese zentralistische Entscheidung gibt's doch in Deutschland gar nicht.

Sieglinde Jornitz [01: 00:18] Nee, das ist im Augenblick ein Vorteil. Aber man kann nicht mehr darauf vertrauen, dass der einzelne Ministerialbeamte tatsächlich auch dagegen entscheiden könnte. Die Plattform haben ja das, was alle digitalen Tools haben. Die sind für einen internationalen Markt von Anfang an auch so konzipiert. Dass wir uns daran gewöhnt haben, dass es zwei Betriebssysteme für unsere Smartphones gibt. Das ist doch schon irre. Weltweit gibt es da kaum mehr andere rechts und links, die eine Marktmacht haben. Und tatsächlich ist auffällig: All die Plattformen, die für den Bildungsbereich schon programmiert sind, sind von Anfang an sprachunabhängig gedacht. Also, das kann ich in Polen genauso gut verkaufen wie in der Ukraine wie in Deutschland wie in den USA. Das ist doch ein neues Geschmäckle. [01:01:14]Also unser großer Schutz zu sagen: Schule muss frei vom Markt gehalten werden, das ist bei uns geregelt über die Zulassung der einzelnen Schulbuchverlage. Denen steht tatsächlich aus vielen Gründen das Wasser bis zum Hals. Was [14.9s] bislang vielleicht gar nicht so gleich war - in Polen Geschichte zu unterrichten oder in Deutschland - wird auf einmal durch das digitale Tool, wenn sich eins durchsetzen sollte oder wenn da der Hype groß genug ist, dann kann sich da auch kein Ministerialer mehr dagegen verwehren, weil man eben sagt: Das funktioniert ja, lasst uns das auch nehmen.

Florian Güßgen [01: 02:02] Aber entschuldige, wenn ich da dagegen halte: Ich sehe das nicht. In der Theorie kann ich diese Sorge nachvollziehen. Nur wenn Sie beispielsweise Google Classroom nehmen. Das Bestreben der Plattformen, universale Software anzubieten, ist ja klar und da bin ich total bei Ihnen. Aber beispielsweise Google Classroom, was in den USA ja relativ erfolgreich ist und auch viel genutzt wird, das funktioniert in Deutschland überhaupt nicht. Inhaltlich gibt's auch kaum eine universale, homogene software, die für einzelne Fächer angeboten wird, sondern das ist immer noch sprachlich konditioniert. Und ich wüsste jetzt auch nicht, dass es digitale Geschichtsbücher gibt, die dann - als krasses Beispiel - die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ähnlich unterrichten würden wie in Polen oder in Amerika. Ich kann Ihre Sorge nachvollziehen, sehe bloß die Beispiele noch nicht.

Sigrid Hartong [01: 03:06] Sie nennen jetzt natürlich auch die Beispiele, wo es wahrscheinlich am letzten kommen würde und wo noch eine sehr, sehr starke Kontextspezifität herrscht. Ich würde auch da versuchen, dass es nicht so so einseitig in die eine oder in die andere Richtung rutscht. Sie haben vorhin auch gesagt: Sie sehen das mit der Einseitigkeit bezüglich der Positionen nicht, weil es dann den Ministerialbeamten gibt, der dann noch ausbremst. [01:03:30]Es geht hier aber um bildungspolitische Diskurse, das war mein Argument. Und wenn Sie sich da angucken: Wer sitzt in entscheidenden Gremien? Welche Positionen werden gehört? Wie wird das Narrativ von BildungDigitalisierung fremd in der Politik von sogenannten Expertengruppen, in denen vorne draufgeschrieben wird? Es ist eine breite Beteiligung. Es werden alle Stimmen gehört. Es ist nicht in der Heterogenität, die wir brauchen. Da würde ich ein ganz starkes Argument dafür machen, und [26.5s] das würde ich auch immer wieder machen. Und da kann ich eben nur auf die Forschung verweisen, dass man sich das wirklich im Detail anschaut. Klar kann man immer auf den Beamten verweisen, der irgendwo als Sand im Getriebe anders entscheidet. Aber darum geht es in meinem Argument nicht. UWie wollen Sie argumentieren? Und natürlich können Sie sagen: Ich halte auch dagegen, dass das hier groß standardisiert wird global. Weil wenn Sie sich beispielsweise anschauen, welche Lernplattformen gerade bundesweit in verschiedenen Bundesländern als Standard komplett zentralisiert eingeführt werden und dass das ein globaler Provider ist, der dahinter steht oder das eben in vielen Fällen globale Provider sind, die dahinter stehen. Dann ist es vielleicht erstmal nur in Anführungsstrichen "nur" die Plattform oder nur das Schulverwaltungssystem. Aber auch das sagt ja was, wenn ich so ein System global einsetze und daraus sozusagen ein skalierbares Produkt mache oder beispielsweise solche Apps wie ClassDojo, die auf Verhaltens-Tracking setzen und auf Belohnung, wenn ich mich gut im Klassenraum benehme. Das ist ein globales Produkt, das gibt's in allen möglichen Ländern. Und auch das macht was. Und damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Florian Güßgen [01: 05:01] Die Frage ist natürlich, in welchem Rahmen man diese Diskussion führt. Und Frau Hartong, Sie beschäftigen sich auch in Ihrer Forschung mit dem Bildungsföderalismus in Deutschland. Wie hat sich denn der Föderalismus im letzen Jahr bewährt und was halten Sie für den richtigen Weg, wie man jetzt damit umgehen sollte?

Sigrid Hartong [01: 05:16] Auch da ist der Diskurs im Moment sehr schief. Sie finden im Moment kaum jemanden, der es als Fan vom Föderalismus irgendwie sehr leicht hat, seine Position darzustellen. Man hat ganz viel Föderalismuskritik, ganz viele Leute, die auch richtiges Bashing von Föderalismus betreiben, die sagen: Das ist Schrott, das funktioniert überhaupt nicht. Warum ist das so? Und dann allen möglichen Akteuren wie etwa der KMK Versagen vorwerfen. Da sagt dann die Soziologin in mir. Naja, bei sowas sollte man immer ein bisschen genauer hingucken und nachhaken. Und dann wird es sehr schnell sehr deutlich. [01:05:50]Föderale Strukturen, dezentrale Entscheidungsstrukturen mit ganz vielen Leuten, die daran partizipieren, sind im Prinzip der Todfeind von Datafizierung, Digitalisierung, Standardisierung, Zentralisierung, der Etablierung eines EdTech Markts, also von allem, was momentan gesehen wird als wichtig, notwendig, zukunftsweisend. Da stört der Föderalismus unfassbar. Der ist langsam, der ist zäh. Da sind alle möglichen Stimmen immer wieder dabei. Das macht Transfer wahnsinnig schwierig. Das lässt sich sehr gut nachvollziehen, warum der momentan wahnsinnig unattraktiv ist. [39.5s] Richtig. Es gibt momentan dann entsprechend wenige, die dagegen halten. Aber man kann so ein bisschen gucken, was sind denn die Argumente? Und dann gibt's einmal dieses Argument, was öfters dann kommt, dass man sagt: Naja, je zentralisierter Dinge sind, desto weniger kann ich auf lokalen Kontext beispielsweise eingehen. Also zentralisierte Systeme dieser Welt geben da auch teilweise sehr gute Beispiele, was problematisch ist, wenn ich zentralisiert versuche zu steuern und bin aber am lokalen Kontext vorbei, wenn ich nicht ausreichend auf lokale Probleme eingehe. Das kennt man ja aus der Pisa-Studie dieses Argument: Das ist als Steuerungswissen für Schule überhaupt nicht geeignet, weil es es auf einem viel zu hohen Abstraktionsniveau ist, viel zu pauschal, nicht auf lokale Bedingungen eingeht. Und das kann man bei dem Thema digitale Ausstattung ja auch heute schon sehr gut sehen, dass das natürlich ein Argument ist. Mehrstufigkeit hat natürlich den Vorteil, dass man lokalen Kontext wesentlich stärker in den Blick nehmen kann. Aber es gibt noch ein weiteres Argument. Und das, würde ich sagen, ist fast viel wichtiger. Nämlich Föderalismus bedeutet, dass viele Ebenen etwas zu sagen haben, dass also viel Entscheidungsautonomie eben nicht zentralisiert ist, sondern die dieses ständige Ich-muss-da-nochmal-debattieren, das muss nochmal durch eine Ebene, dass das als Wert an sich auch geschützt wird oder auch als Wert anerkannt wird. Und das ist schwierig wie gesagt eine Pandemie Zeiten zu verargumentieren. [01:07:55]Aber es zeigt sich in der Pandemie hat auch gerade total gut eigentlich, wie problematisch es auch von Demokratieseite her ist, wenn wichtige Entscheidungen zunehmend auf wenige Entscheider, auf wenige Gremien reduziert werden, dass das immer notgedrungen dazu führt, dass auch die Stimmen, die Meinungen und die Expertise reduziert werden. Und notgedrungen ist immer ietwas, was am Ende demokratische Entscheidungsfindung gefährden kann, wenn man nicht ausreichende Gegengewichte schafft. Vielfalt, verstanden als Frage, wie viele Stimmen sich mit etwas auseinandersetzen können, das ist auch ein Argument für den Föderalismus. Ich finde es teilweiseerschreckend, dass das so wenig Relevanz momentan hat oder dass es auch möglich ist, dass in der Bildungsdigitalisierungsreform so viel auch über die Länderebene hinweg entschieden werden kann oder auch diesen Gremien ihre Legitimität abgesprochen wird, dass die die KMK so gebasht wird . Der Wert dieser Gremien an sich, auch dass das etwas ganz Tolles eigentlich darstellt und uns sehr weit gebracht hat, mit dieser Art Argumentation ist man heute automatisch in einer Verliererposition. Da heißt es: Wo bist du denn her? Ich finde es wichtig, dass man das deutlich mehr wieder ins Gespräch bringt. [78.8s]

Florian Güßgen [01: 09:15] Ich bin total begeistert, dass ich hier einen Föderalismus-Fan höre. Damit hätte ich jetzt gar nicht gerechnet. Das ist ja ein absolutes Plädoyer für den Föderalismus.

Sigrid Hartong [01: 09:23] Ich kann das gar nicht so so eindeutig sagen. Ich würde auch nicht sagen, dass ich jetzt der größte Fan der KMK bin. Überhaupt nicht. Aber ich finde einfach: Es ist Wahnsinn, dass momentan - Wahnsinn ist übertrieben, aber es ist erschreckend, wie klar es scheint, dass solche Strukturen abgeschafft gehören.

Florian Güßgen [01: 09:42] Ich hatte in dem Zusammenhang noch eine Frage an Frau Frau Dr. Jornitz. Sie beschäftigen sich am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt auch mit Ländervergleich, wenn ich das richtig gesehen habe. Wie ist denn Ihr Eindruck: Wie gut ist das deutsche Schulsystem im Vergleich etwa mit den USA aber auch anderen europäischen Ländern mit dieser Herausforderung Fernunterricht und Digitalisierung während Corona umgegangen?

Sieglinde Jornitz [01: 10:10] Tatsächlich glaube ich, das Bild von den USA, das ist wahnsinnig schief auf unserer Seite. Also wenn man das jetzt nur auf einer sehr grundsätzlichen Ebene eben wahrnimmt. Man könnte auch sagen. Das ist genutzt worden, dass der Trigger USA, dass da besonders viel vorangeht und wir uns nur hintendran schämen müssen, hat eben vielleicht auch einen politischen Grund, warum man eben das auch so hervorgehoben hat. Aber tatsächlich, also gerade das System der USA ist ja mit seiner wahnsinnigen Differenz zwischen öffentlichen und privat finanzierten Schulen viel, viel heterogener. Und das heißt, wir haben auch in den USA Internet-Probleme, wir haben Ausstattungsprobleme, das ganze Spektrum, das man auch hier hat. Länder sind groß, und es bietet sich einfach kein einheitliches Bild. Also am Anfang der Pandemie im letzten Frühjahr, da wurden uns die Geschichten zugetragen aus Städten in Spanien. Die haben ja einerseits eine viel, viel striktere Ausgangssperre gehabt, die Kinder durften tatsächlich nicht mehr raus und mussten in den Wohnungen verbleiben. Tatsächlich hat aber auch da über Videokonferenzsysteme Unterricht stattgefunden – und zwar nach Stundenplan. Also das, was bei uns überhaupt nicht möglich war, zu sagen: Wir machen hier weiterhin erste bis sechste Stunde Unterricht, hat da stattgefunden. Auch nicht überall. Aber das gab es tatsächlich als Konzept. Und genauso in Ländern, wo alles zusammenbrach. Was für eine politische Struktur habe ich? Wie sieht die ökonomische Struktur aus? Wir wissen aus El Salvador oder Honduras, aber genauso aus Kolumbien oder Indien, wo es viele, viele Tagelöhner:innen-Familien gibt. Die hatten anderes zu tun als sich um die Schule zu kümmern. Die wussten von einem auf den anderen Tag nicht mehr, wie sie ihre Familie ernähren sollten und wo sie das Geld dafür auftreiben sollten. Das kann ich noch ergänzen: Über Italien hieß es am Anfang in der Presse: Da klappt das alles mit dem Homeschooling, weil dort seien die digitalen Schulbücher schon flächendeckend eingesetzt. In meiner Wahrnehmung ist das eben von Monat zu Monat gebröckelt. Dann war's eben doch nicht so rosig und die hatten mit den gleichen Sachen wie wir zu kämpfen. Wie beschult man Kinder, wenn man die doch nicht erreicht, wenn die zu Hause nicht die entsprechenden Notebooks und Laptops zur Verfügung haben, et cetera et cetera? Also lange Rede, kurzer Sinn. [01:12:53]Weltweit ist allen Schulsystemen auf die eine oder andere Art der Stecker gezogen worden. [3.5s] Niemand außer solchen Institutionen wie in Australien, die eine jahrzehntelange Expertise beim Homeschooling haben, hatten darauf eine funktionierende Antwort.

Sigrid Hartong [01: 13:12] Das ist auch genau das, was wir ganz viel mit internationalen Kolleginnen und Kollegen debattieren. Die Befunde, die wir auch mit Unblack the box versuchen, stark zu machen, die gibt's überall. Das ist auch kein deutsches Alleinstellungsmerkmal. [01:13:27]Das nimmt diesen Mythos da raus, der besagt, da gäbe es irgendwelche Länder da draußen, die das schon voll geblickt haben und wir Kröten in Deutschland ächzen hinterher. Das ist nicht die Situation. Die ist sehr viel dynamischer und auch sehr viel heterogener. [16.4s]

Florian Güßgen [01: 13:44] Ich bin total begeistert von den Themen, die sie angerissen haben und auch davon, was sie mit Unblack the box machen. Das ist wirklich hochspannend. Da könnte man noch stundenlang drüber sprechen. Aber trotzdem: Wir müssen jetzt zum Ende kommen. Und mich würde noch interessieren: Sie haben jetzt diese zwölf Leitfragen entwickelt. Was ist denn jetzt für Sie das nächste größere Projekt mit Unblack the box?

Sigrid Hartong [01: 14:04] Wir sind jetzt erstmal tatsächlich sehr freudig überrascht davon, wie viel auf unsere alternative Checkliste zurückkommt, auch in allererster Linie extrem positives Feedback. Da heißt es: Super, dass es jetzt diese Stimme gibt. Das ergänzt sich toll mit ... Oder: Das konnte ich da gut gebrauchen und können wir hier nicht nochmal weiter in den Diskurs treten. Das versuchen wir jetzt erst mal ein Stück weit zu verarbeiten. Wir machen viele Workshops, wir machen viele Vorträge, in denen wir versuchen, die Initiative erst einmal vzu streuen. Und auch da ganz viel zu prüfen das Thema, was wir jetzt auch mehrfach im Gespräch hatten: Wie können Bildungs -PraktikerInnen das machen? Wie können sie das, was jetzt erst mal als Überforderung erscheinen mag, händeln? Wie können wir von Unblack the box das hinbekommen, dass das wirklich niedrigschwellig ist, dass es ein Angebot ist, was aber nicht für so eine Überfrachtung sorgt. Das sind super tolle und fruchtbare Gespräche, die wir da führen. Wir versuchen uns gerade sehr drauf zu konzentrieren zu sichten, was die Bildungspraxis wirklich braucht und wie wir die Anschlüsse finden zu Dingen, die es eben schon gibt. Kann man da etwas bündeln? Kann man sich ins selbe Boot setzen? Da passiert gerade ganz viel. Wir versuchen generell mit der Initiative das Credo zu fahren: Lieber sind wir ein bisschen langsamer. Aber das, was wir da machen, ist auch sinnvoll, als dass wir jetzt das nächste Zeug auf den Markt schmeißen – und dann geht das am Bedarf vorbei.

Florian Güßgen [01: 15:56] Ich find's auf jeden Fall hochspannend, was sie machen, weil letzten Endes koppeln sie ja den Diskurs über Schule an an die größeren gesellschaftlichen Diskussionen über den Umgang mit Plattformen, über Datafizierung, über die Transparenz von Algorithmen und brechen das runter auf die Schule und auf die Bedeutung für Bildung. Ich fand's hochinteressant und würde mich freuen, wenn wir uns bei Gelegenheit wieder sprechen könnten und bedanke mich ganz herzlich für Ihre Zeit und auch für das Gespräch. Danke schön. Tschüss.

Sigrid Hartong [01: 16:25] Vielen lieben Dank für Ihre Fragen.

Florian Güßgen [01: 16:34] So, das war's für heute. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, folgen Sie uns auf Spotify. Abonnieren Sie uns bei iTunes und super wäre natürlich, wenn Sie uns auch bewerten würden. Das ist ja der Goldstandard. In jedem Fal: Tausend Dank. Bis zum nächsten Mal. Ihnen alles Gute. Tschüss.